Corporate Entrepreneurship

Wie wir unternehmerisches Denken und Handeln in unserer Organisation fördern

von Thomas Lipinski und Dominik Wilhelm

 

Start-ups sind in aller Munde und Gründer sind gefragt. Auch auf der Online-Dating-Plattform Tinder gehören Gründerinnen und Gründer zu den „most right swiped“ Nutzern. Während früher eventuell der Bankberater mit Festanstellung als gute Partie galt, so scheint heute für Viele unternehmerisches Handeln (Proaktivität, Risikobereitschaft und Innovativität) attraktiv zu sein. Warum? Weil die Agilität von Entrepreneuren in einer sich schnell verändernden Welt mehr Sicherheit bieten kann als das unflexible Leben im Gestern. 

 

Auch Unternehmen wissen, dass sie dem Lebenszyklus zum Opfer fallen, wenn sie weder sich noch ihre Produkte und Dienstleistungen konsequent neu erfinden. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung diskutiert dieses Phänomen immer wieder (neu) und in unterschiedlichen Teildisziplinen sowie mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Joseph Schumpeter als einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „schöpferische Zerstörung“. Heute wird viel von der digitalen Disruption gesprochen. Im Grunde ist es unerheblich mit was die schöpferische Zerstörung ihr Unternehmen gerade herausfordert: Ob durch neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz, oder einen gesellschaftlichen Wandel oder beides zugleich. Die Frage für Unternehmen ist immer die gleiche: Welches Kraut ist dagegen gewachsen? Im Grunde liefert Schumpeter bereits den Lösungsansatz. Neben den drei klassischen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital benennt er in seiner frühen Arbeit Unternehmertum als den vierten entscheidenden Produktionsfaktor. Unternehmertum in etablierten Unternehmen wird heute oft unter dem Begriff Corporate Entrepreneurship subsumiert. Grundsätzlich wird dabei zwischen Corporate Venturing und Strategic Entrepreneurship unterschieden. Beim Corporate Venturing versuchen Unternehmen durch die Gründung, Ausgründung und den Aufkauf von Start-ups Neues zu entdecken und dem Lebenszyklus zu entkommen. Viele große Organisationen leisten sich dazu eigene Venture Capital Fonds, Accelerator- Programme oder Inkubatoren. Meist ist die Investition strategischer Natur, insbesondere Venture Capital Fonds dienen jedoch eher Kapitalanlagemotiven. Unternehmen, die ihr Neugeschäft in Form der Start-ups quasi outsourcen betreiben im Kern strukturelle Ambidextrie, wobei das Altgeschäft (exploit) organisatorisch getrennt vom Ausloten neuer Möglichkeiten (explore) erfolgt. Strategic Entrepreneurship bezeichnet hingegen den Einsatz von unternehmerischem Denken und Handeln innerhalb der bestehenden Organisation. Durch diese Haltung ist das Outsourcing von Innovativität, Risikobereitschaft und Proaktivität deutlich seltener erforderlich. Durch die Festigung unternehmerischen Denkens und Handelns in der Unternehmens-DNA sind Wandel in Strategie, Branche, Produkt oder gar Geschäftsmodell für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selten überraschend, sondern Teil ihres eigenen Verständnisses. Unternehmen mit einem innovativen, proaktiven und risikobereiten Ansatz sind empirisch belegbar deutlich erfolgreicher als solche, die unternehmerisches Denken und Handeln nicht als Teil ihrer Unternehmens-DNA betrachten. Um ein solches Klima herzustellen oder zu erhalten, sind die fünf Dimensionen Management-Support, Arbeitsautonomie, Anreizsysteme, verfügbare Zeit sowie Organisationsstruktur von zentraler Bedeutung. Das von Kuratko, Hornsby und Covin (2014) entwickelte Corporate Entrepreneurship Assessment Instrument (CEAI) als Mittel zur Messung und Verbesserung von Corporate Entrepreneurship in Unternehmen ist der Ausgangspunkt nachstehender Betrachtung.

 

Commitment des Top-Managements sicherstellen

Das Top-Management bildet die Triebfeder eines unternehmerischen Klimas. Um nachhaltig unternehmerisches Denken und Handeln im Unternehmen zu verankern, ist es wichtig, dass dazu ein Rückhalt auf oberster Ebene besteht. Allzu oft fordert das Top-Management innovative Ideen und proaktives Verhalten, lebt dieses aber selbst so nicht vor. Notwendige Ressourcen werden verwehrt, neue Arbeitsmethoden abgelehnt, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit wird ausgebremst oder Beförderungen werden nur nach dem Senioritätsprinzip statt nach entrepreneurialer Leistung ausgesprochen. Im ersten Schritt ist daher das Top- Management am Zug und muss prüfen, ob es den eigenen Erwartungen selbst gerecht wird. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu sind klar: Ein unternehmerisches Top-Management hat einen direkten Einfluss auf das unternehmerische Verhalten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Organisation. Die Unternehmensführung muss den Willen zu unternehmerischen Verhalten offen, transparent und mantraartig kommunizieren sowie im Unternehmensleitbild erkennbar festschreiben. Neben dem Top-Management besetzt insbesondere das mittlere Management eine Schlüsselrolle. Ist das mittlere Management ungeeignet konditioniert, handelt es oft risikoavers und filtert die falschen Ideen für die oberste Führungsebene heraus. Gibt es keine Möglichkeit des Austauschs über Hierarchieebene hinweg, kann das mittlere Management zum größten Hemmnis von unternehmerischen Aktivitäten werden.

 

Arbeitsautonomie ermöglichen

Die zweite Stellschraube zur Etablierung oder Festigung unternehmerischen Verhaltens ist die Arbeitsautonomie. Aus organisationstheoretischer Sicht kann es durchaus vorteilhaft sein, wenn Aufgaben klar geregelt und für eine Stelle ein Aufgabenfeld abgegrenzt werden. Zudem ist es für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angenehm, wenn Sie Entscheidungen nicht selbst treffen müssen, sondern mit der Führungskraft abstimmen können. Sie müssen ihre Komfortzone nicht verlassen. Allerdings ist eine damit verbundene Einschränkung der Arbeitsautonomie hochgradig schädlich und unterbindet jegliches unternehmerisches Denken und Handeln. Routinetätigkeiten sind Maschinen vorbehalten und selbst diesen wird im Rahmen von künstlicher Intelligenz bereits viel Autonomie gewährt. Wird diese Autonomie jedoch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zugesprochen, können diese ihre unternehmerischen Potenziale – welche wohlbemerkt Maschinen (noch) nicht haben –nicht entfalten. Konkret bedeutet dies mehr als nur Homeoffice zu gewähren. Wenn das Ziel und damit das „Warum“ klar ist, ist Arbeitsautonomie in örtlicher, zeitlicher und sequenzieller Hinsicht förderlich. Die sich in der praktischen Umsetzung ergebenen Herausforderungen auch mit Blick auf arbeitsrechtliche Fragstellungen sind in der Regel dank kreativer Ideen und neuen technischen Möglichkeiten gut lösbar.

 

Anreizsysteme effektiv gestalten

Einen weiteren Baustein bilden Anreizsysteme. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung konnte längst zeigen, dass der klassische homo oeconomicus ausgestorben ist oder gar nie wirklich gelebt hat. Rein finanzielle Anreize als Werkzeug einer extrinsischen Motivation sind daher nicht das Allheilmittel, um Menschen zu unternehmerischen Verhalten zu bewegen. Bedürfnisse sind zu individuell und zu sehr abhängig von der eigenen Lebenssituation. Der Wunsch nach Anerkennung bildet jedoch bei vielen Menschen einen Grundantrieb. Unternehmen werden also erfolglos unternehmerisches Verhalten einfordern, wenn proaktives, innovatives und risikofreudiges Verhalten ohne Anerkennung bleibt. Abhängig von der Unternehmenskultur und individuellen Präferenzen kann diese Anerkennung durchaus in Form finanzieller oder materieller Art wie Bonuszahlungen, Unternehmensbeteiligung, interne Aktienmärkte, Smartphones oder Firmenwagen erfolgen. Nicht zu unterschätzen sind allerdings auch andere Formen der Würdigung, insbesondere soziale Anreize. Dazu zählen die Vergabe von internen Titeln, die Auszeichnung besonderer Projekte sowie die Ernennung von Innovationschampions. Auch die Motivation entrepreneurialen Verhaltens durch Entwicklungsmöglichkeiten in Form von Fort- und Weiterbildung sowie die Möglichkeit zur Teilnahme an Outof- the-Box-Veranstaltungen sind ein oft unterschätzter Anreizmechanismus.

 

Zeitliche Freiräume zulassen

Oft tritt das Problem auf, dass entrepreneuriales Verhalten in Form von kontextualer Ambidextrie verlangt wird, jedoch auf Grund von zu hohem Workload im Kerngeschäft keine Zeit für das Neue bleibt. Google galt mal als prominenter Vertreter der 20-Prozent-Regel, bei der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeblich 20 Prozent ihrer Arbeitszeit nach freiem Ermessen verwenden durften. Ziel war es, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diese Zeit dann für innovative Ideen im Sinne von Google verwendeten. Produkte wie AdWords, Google News oder Gmail sollen aufgrund der 20-Prozent-Regel entstanden sein. Heute fokussiert Google allerdingt verstärkt strukturelle Ambidextrie, und hält zugleich nicht mehr an der 20-Prozentregel fest. Stattdessen sind die Realisierung neuer Projektideen innerhalb der Arbeitszeit nur noch nach vorheriger Genehmigung möglich. Pauschale 20-Prozentlösungen sind wahrscheinlich nur im Sinne des Employer Brandings sinnvoll und gerade in größeren Unternehmen wohl nicht für alle Unternehmensbereiche einsetzbar. Unabhängig davon wird kein entrepreneuriales Verhalten zu beobachten sein, wenn es keine Zeiträume gibt, die zu Denkräumen werden können.

 

Organisationsstruktur flexibel halten

Eines der Hauptgründe warum etablierte Unternehmen nach einer gewissen Zeit die Dynamik der Gründungsphase verlieren, liegt in der gewachsenen, starren Organisationsstruktur. Agil sind Start-ups vor allem dank ihrer überschaubaren Größe und den damit verbundenen flachen oder gar nicht vorhandenen Hierarchien. Mit zunehmender Größe erzwingt das Effizienzprinzip den meisten Unternehmen eine Organisationsstruktur mit starren Prozessen und Regeln auf. Diese begründet langwierige Entscheidungsprozesse und engstirniges Silodenken. All das wirkt unternehmerischem Verhalten entgegen. Ansatzpunkte, Organisationsstrukturen gezielt aufzubrechen, sind abteilungsübergreifende Innovationswerkstätten, gezielte interne Arbeitsplatzaustauschprogramme oder Kaminabende unternehmerischer High Potentials ggf. mit der Führungsebene.

 

Fazit

Anhand des CEAI lässt sich der Statusquo einer Organisation im Hinblick auf unternehmerisches Verhalten messen und der Handlungsbedarf ableiten. Danach ist für das Unternehmen individuell zu prüfen, welche Maßnahmen im Einklang mit der Unternehmenskultur und der Unternehmensstrategie zu ergreifen sind. Wie Unternehmertum als vierter Produktionsfaktor in einer Organisation eingesetzt werden kann und ob der Fokus auf Corporate Venturing oder Strategic Entrepreneurship gelegt wird, ist eine strategische Entscheidung, die zu Beginn der Auseinandersetzung vom Top-Management zu treffen ist. Viele Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen haben erkannt, dass sie bedeutungslos werden könnten, wenn Sie kein innovatives und unternehmerisches Umfeld schaffen. Das Management wird sich damit zukünftig verstärkt daran messen lassen müssen, ob ihre Strategie zur Gewinnung und Erhaltung des Produktionsfaktors Unternehmertum nachhaltig ist. Ex post können Unternehmern an den fünf oben benannten Stellschrauben drehen. Ex ante kommt es aber auch auf die Gewinnung und Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an, die ein entrepreneuriales Mindset bereits mitbringen oder ausbauen wollen. Einige Unternehmen „tindern“ sich bereits neues Personal über Plattformen wie Truffls zusammen. Ob für Unternehmen oder im Privaten: Menschen mit entrepreneurialen Mindset sind gefragt – ob man diese nur noch im Internet findet, bleibt am Ende sicher eine Philosophiefrage.

 

Dies ist der Leitartikel aus dem aktuellen PE innovation-lab Newsletter 2020.